Entwurfsmodell: Lichtung
Philipps-Universität Marburg, Bibliothek Neubau
Lichtung
Der Neubau der Universitätsbibliothek der Philipps-Universität Marburg öffnet sich zum Alten Botanischen Garten Marburgs hin und bildet so großflächige Landschaftspanoramen, erinnernd an Dioramen naturkundlicher Museen. Die künstlerische Arbeit „Lichtung“ nimmt diesen Bezug zwischen Natur und menschlicher Beobachtung derselben auf, die am Anfang jedes wissenschaftlichen Arbeitens steht, und entwickelt sich aus dieser Korrespondenz.
Im Innenraum des Neubaus bildet „Lichtung“ eine Struktur aus gold-glänzenden Edelstahl, die sich gleich einer fragmentarischen Landkarte auf der zentralen Wand der Bibliothek ausbreitet. Ables-bar wird für den Betrachter ein abstraktes, glänzendes Relief-Gebilde, dessen Form einer unver-trauten Logik folgt. Diese steht aber mit der angrenzenden Natur in direkter Beziehung, denn es ist die Natur selbst, genauer: die Sprache der Vögel, die sie hervorgebracht hat. Das Kunstwerk setzt seinen Ausgangspunkt im Alten Botanischen Garten. Es orientiert sich an dortigen Fakten: Im Frühsommer wird dort temporär ein Netz aus speziellen Aufnahmegeräten (Mini-Funkmikrophone und Oszillographen) installiert, um in der morgendlichen Dämmerung die er-wachenden Vogelstimmen aufzuzeichnen. Über die Positionierung dieser Mini-Mikrophone werden die Tonaufnahmen kartographisch verortet – es entsteht eine „Sound Map“, welche ein visuelles, quasi neuronales Netz bildet. Mit der Hilfe von Ornithologen wird eine Analyse der aufgezeichne-ten Daten erstellt, aus dieser wird eine akustische Zeichnung gleich einer Partitur erstellt.
Diese Komposition dient schließlich als Ausgangspunkt für die Ausformulierung der Skulptur, welche sich im Innenraum der Bibliothek materialisiert: Über einen Algorithmus wird ein dreidimen-sionales digitales Relief erstellt und in Form von „Lichtung“ wird es wieder in die physische Welt überführt. Die feine Linienführung der Skulptur ergibt sich durch die Setzung, welche von Vogelart, Tonhöhe und Lautstärke bestimmt wird. Das akustische Signal wird in eine visuelle Sprache übersetzt. Die flüchtige Form der gesprochenen Sprache – hier die der Vögel – wird in einen festen Aggregatszustand überführt, somit „eingefroren“, und selbst zur Kunst.
In der Arbeit „Lichtung“ zeichnet die Kunst gleich einem abstrakten naturkundlichen Diorama ein Bild von Natur. Natur ist hier nicht länger Gegenstand der Abbildung, sondern avanciert selbst zum Material der Kunst und, mehr noch, bildet sich gleichsam selbst ab: Es ist nicht mehr die Hand des Künstlers, welche sich gestaltend der Natur nähert, sondern die Natur selbst, die zum Schöpfer eines Formfindungsprozesses wird.